Gerichtsakten belegen

Attentäter von Magdeburg drohte mit Anschlag wie beim Boston-Marathon

Von Benjamin Stibi, Tim Röhn
Veröffentlicht am 23.12.2024Lesedauer: 4 Minuten

Taleb al-Abdulmohsen, der Attentäter von Magdeburg, soll WELT-Recherchen zufolge vor zehn Jahren mit einem Verbrechen nach dem Vorbild des Bostoner Anschlags von 2013 gedroht haben. WELT-Investigativreporter Tim Röhn erklärt, was über den Täter bisher alles bekannt ist.

„Sowas passiert dann hier auch.“ Der spätere Magdeburg-Attentäter soll vor zehn Jahren damit gedroht haben, ein Verbrechen nach dem Vorbild des islamistischen Anschlags in Boston 2013 zu begehen. Das geht aus einem Urteil des Amtsgerichts Rostock hervor, das WELT vorliegt.

Weil er den öffentlichen Frieden störte, wurde der Magdeburg-Attentäter Taleb al-Abdulmohsen schon im Jahr 2014 zu einer Geldstrafe verurteilt; das wurde am Wochenende bekannt. Was genau sich der heute 50-Jährige damals zu Schulden kommen lassen hatte, dazu lagen bislang keine Informationen vor.

Nun wird klar: al-Abdulmohsen soll damals damit gedroht haben, ein Verbrechen nach dem Vorbild des islamistischen Terroranschlags auf den Marathonlauf in Boston im Jahr 2013 zu begehen. Das geht aus einem Gerichtsurteil des Amtsgerichts Rostock aus dem Jahr 2014 hervor, das WELT vorliegt.

Bei der Explosion von zwei Bomben in der US-Metropole waren damals drei Menschen getötet und Hunderte verletzt worden.

Nach Auffassung des Rostocker Gerichts hatte der aus Saudi-Arabien stammende al-Abdulmohsen Anfang des Jahres 2013 einen Antrag auf Zulassung zur Facharztprüfung bei der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern gestellt. Die in der Ärztekammer als Leiterin des Referates für Aus- und Weiterbildung Beschäftigte forderte den Angeklagten auf, noch weitere Weiterbildungsinhalte zur Verfügung zu stellen, um zur Prüfung im Fachgebiet Psychiatrie und Psychotherapie zugelassen zu werden.

15. April 2013: Anschlag auf den Boston-Marathon. Es sterben drei Menschen
15. April 2013: Anschlag auf den Boston-Marathon. Es sterben drei MenschenQuelle: REUTERS/Dan Lampariello

In einem Telefonat im April 2013 zeigte sich der Mann damit unzufrieden, stellte der Frau eine Frist von zehn Tagen, um den Antrag zu bewilligen. Falls sie dieser Forderung nicht nachkomme, so sagte er „in ernst zu nehmender Weise“, werde „etwas Schlimmes mit internationaler Bedeutung“ geschehen. Ähnliche Drohungen schickte der Angeklagte auch per E-Mail an die Ärztekammer.

Laut Gericht äußerte der Angeklagte im Telefonat mit der Sachbearbeiterin sogar: „Haben Sie die Bilder aus Boston gesehen? Sowas passiert dann hier auch.“

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Aus dem Urteil geht hervor, dass die Frau die Drohung sehr ernst nahm, da der Anschlag in Boston sich erst am Vortag ereignet hatte. Und auch das Verhalten des Angeklagten bereitete ihr Sorgen: „Anders als während eines persönlichen Gesprächs im Vorjahr sei der Angeklagte sehr ruhig und regelrecht kühl gewesen und habe den Eindruck erweckt, als hätte er sich die Konsequenzen für etwaige Situationen genau überlegt.“ Sie fertigte eine Gesprächsnotiz an und schaltete die Polizei ein.

Das Urteil enthält auch Informationen zur damaligen Lebenssituation von al-Abdulmohsen: Er habe auf eine Berufserlaubnis gewartet, aber ein dafür notwendiges Arbeitsangebot noch nicht gehabt. Bis Ende 2011 habe er ein Stipendium vom saudi-arabischen Kulturbüro erhalten und seither eine Kreditkarte seines in Saudi-Arabien als Lehrer tätigen Bruders genutzt, die mit einer Summe von 20.000 Euro gedeckt gewesen sei. Ein Antrag auf öffentliche soziale Leistungen sei abgelehnt worden. In Deutschland vorbestraft sei er zu diesem Zeitpunkt nicht gewesen.

Vor Gericht erklärte al-Abdulmohsen, er habe unter enorm emotionalem Druck gestanden. Nicht nur wegen seiner finanziell angespannten Situation, sondern auch, weil er am Vortag des Telefonats mit der Sachbearbeiterin eine E-Mail erhalten habe, in welcher ihm angedroht worden sei, ihn in Saudi-Arabien zu „schlachten“. Grund dafür soll gewesen sein, dass er in Internetforen gegen den Islam agitiert habe.

Geldstrafe von 90 Tagessätzen

Mit „etwas Schlimmen“ will er bloß die Einschaltung von internationalen Medien gemeint zu haben. Und das mit Boston habe er nie gesagt. Weil zu diesem Zeitpunkt die Medien noch fälschlicherweise berichtet hatten, dass der Boston-Anschlag durch einen Araber verübt worden sei, hätte die Sachbearbeiterin allein aufgrund seiner Herkunft „Vorurteile gegen ihn gehegt“ und die Parallelen zum Boston-Attentat selbst gezogen.

Das Amtsgericht verurteilte ihn dennoch zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen á 10 Euro. Der Angeklagte sei der deutschen Sprache „überdurchschnittlich gut mächtig und verfügte über ein umfangreiches Vokabular“. Dass er nicht gewusst habe, dass seine Worte bei seinem Gegenüber als Drohung gewertet werden würden, glaubte der Strafrichter nicht.

Zu Lasten des Angeklagten sei zu werten, dass er „eine für die gesamte Bevölkerung schlimme Lage, die kaum in Worte zu fassen ist, für eigene Zwecke ausgenutzt hat“. Er habe weder den Unrechtsgehalt seiner Tat eingesehen noch reumütiges Verhalten während der Hauptverhandlung an den Tag gelegt. „Auch eine Entschuldigung bei der anwesenden [Sachbearbeiterin] nach gutem Zureden durch das Gericht unterblieb.“ Das Urteil wurde 2015 rechtskräftig.

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete, nach dem Urteil soll al-Abdulmohsen sich beim Landesinnenministerium und beim Kanzleramt über das Urteil beschwert und den Richter beleidigt haben. Auf Anfrage von WELT teilte die Staatsanwaltschaft Rostock mit, sie hätte Hinweise darauf vorliegen, dass al-Abdulmohsen im Zusammenhang mit dem Urteil Strafanzeigen gegen Justizbedienstete gestellt habe und dass weitere Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden seien. Die Behörde könne aber wegen der datenschutzrechtlichen Löschfristen nicht mehr auf weitere Details zugreifen.


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