Über diese geheime Fluchtroute wollen Assad-Schergen jetzt nach Deutschland kommen

Die Landung der Maschine der privaten syrischen Fluggesellschaft Cham Wings am Samstagnachmittag auf dem Flughafen von Bengasi fand in Libyen nur wenig Beachtung. Dabei waren 200 Offiziere der syrischen Armee an Bord, die mit ihrer Ausreise die unblutige Übergabe der Hauptstadt an die Rebellen eingeläutet hatten . Nach Angaben von libyschen Journalisten sind sie nun auf dem Weg nach Deutschland.
Möglich ist dies durch die enge Kooperation zwischen Khalifa Haftar, dem Milizenführer in Ostlibyen, Baschar al-Assad und russischen Militärs . Haftar hat – ähnlich wie Assad – der russischen Armee die Stationierung von Truppen erlaubt, die im Gegenzug seine Macht garantieren. Der Kreml verlegt gerade einen Großteil seiner in Syrien stationierten Flugzeuge, Luftabwehrsysteme und Soldaten nach Libyen.
Migrationsroute bis nach Deutschland
An der Seite Haftars kämpfen schon seit Jahren syrische Söldner, die Assad zur Unterstützung seines Verbündeten geschickt hatte. Diese Dreier-Allianz hat 2023, nachdem sich die syrische Opposition scheinbar geschlagen nach Idlib zurückgezogen hatte, eine Migrationsroute von Damaskus über Libyen bis nach Nordrhein-Westfalen eingerichtet.
Mehrere hundert regimetreue Kämpfer und ihre Familien wurden seitdem über Bengasi, Westlibyen und Sizilien nach Deutschland geschleust, berichten libysche Journalisten, die namentlich nicht genannt werden wollen. Mit dem Ende der Assad-Herrschaft könnte ihre Zahl dramatisch steigen, warnt der Syrien-Experte Lawand Kiki vom Syrian Reporting Center.
Tausende Täter werden wegen Kriegsverbrechen gesucht, die sie während des 13-jährigen Bürgerkriegs begangen haben. Nicht nur Menschenrechtsorganisationen, auch die staatlichen Behörden selbst haben Folter, willkürliche Verurteilungen und Morde in Syrien sorgfältig dokumentiert. „Trotz der nun weiterverbreiteten Versöhnungsrhetorik werden viele Täter nach Deutschland kommen, um sich der Rache und Strafverfolgung in ihrer Heimat zu entziehen “, so Kiki weiter.
Details zur Schmuggelroute bleiben im Dunkeln
Über die Schmuggelroute entlang der über 2000 Kilometer langen Küste ist auch in Libyen wenig bekannt. Ein Geschäftsmann aus Bengasi berichtet Table.Briefings allerdings, wie Offiziere der Tareq bin Ziad-Brigade, einer Sondereinheit der Libyscher National-Armee (LNA) Haftars, Zeugen der regelmäßig anreisenden Reisegruppen zum Schweigen verdammen: „Ich hatte im Sommer ein Hotel in Bengasi bezogen und wollte mich des Nachts über den ungeheuren Lärm beschweren, den eine angekommene Gruppe machte.“ Der Rezeptionist sagte ihm, es seien Syrer auf der Weiterreise nach Westlibyen. „Aber die in der Lobby sitzenden Offiziere im Hintergrund warnten uns eindringlich, über die Gäste aus Syrien mit niemandem zu sprechen“, so der Geschäftsmann.
Zweimal die Woche landen seit dem letzten Sommer jeweils bis zu 200 Passagiere aus Damaskus an Bord von Chams-Wings-Maschinen in Bengasi, berichten Gesprächspartner Table.Briefings in Libyen. Auf Facebookseiten einiger Reisenden taucht eine alternative Route über den von der Hisbollah kontrollierten libanesischen Grenzort Tfail auf. Nach dem heimlichen Grenzübertritt werden die syrischen Regimeanhänger in Bussen zum Flughafen von Beirut transportiert und fliegen von dort nach Bengasi. Nach der Landung sorgen Angehörige der Tareq bin Ziad Brigade für den Weitertransport ins Stadtzentrum und setzen die Syrer in Busse in Richtung der westlibyschen Hafenstadt Sabratha .
Gefahr radikaler Regimeanhänger
Schon am Folgetag legen die Boote mit den aus Deraa oder Damaskus stammenden Regimeanhängern ab. Die libyschen Schmuggler bieten ihnen schnelle Holzboote und nicht die seeuntüchtigen Kähne, in die sie Migranten aus West- oder Zentralafrika zwingen. Daher wird die syrische Migrationsroute von Hilfsorganisationen oder italienischen Küstenwache oft nicht erfasst. „Beunruhigend ist aber auch nicht die Zahl der Regimeanhänger, sondern wer kommt. Es wurden in diesen Einheiten auch Radikale angeheuert “, sagt Syrien-Experte Lawand Kiki.
Vor den am letzten Wochenende ankommenden Offiziellen des Assad-Regimes waren es vor allem Kommandeure von Stadtteilmilizen, die in den letzten Monaten demobilisiert worden waren. Seit den letzten Jahren standen sie dem vom Regime gewünschten Versöhnungsprozess mit der Bevölkerung im Weg.
Söldner auf russischen Lohnlisten
„Diese Gruppen haben in Deraa und anderen Orten rund um Damaskus mit willkürlicher Brutalität geherrscht“, berichtet ein nach Deutschland geflohener syrischer Menschenrechtsaktivist. „In den letzten Jahren standen die Söldner auf den Lohnlisten der russischen Truppen. Doch wegen der vielen Morde störten sie und wurden nach Deutschland geschickt, um die syrische Opposition unter Druck zu setzen.“
Wie viele Regimeanhänger nun nach dem Sturz des Regimes tatsächlich kommen, wird vom Kurs der Rebellen abhängen. Abu Mohamed al-Dscholani, der Anführer der HTS-Allianz, wirbt für Versöhnung der politischen Gegner. Doch die Szenen vor dem Saidnaya-Gefängnis vom Sonntag zeigen, wie blutig die Rache an den Regimeanhängern die nächsten Monate werden könnte.

Syrer im ganzen Land sind auf der Suche nach vermissten Angehörigen, die von Sicherheitskräften verschleppt worden waren. Wer als Gegner des Regimes in die Fänge des Moukhabarat, des staatlichen Sicherheitsdienstes geriet, verschwand oft über Jahre in Saidnaya, ohne dass Angehörige davon erfuhren.
„Es gibt tausende Familien, die bald fordern werden, dass die Täter vor einem Gericht landen“, sagt Lawand Kiki. Der Syrer begrüßt, wie viele seiner Landsleute, den Sturz des Regimes, aber warnt: „Wenn der nun neu entstehende Staat sich nicht schnell um die Aufarbeitung der Vergangenheit kümmert, wird es zu einem neuen Kreislauf der Gewalt kommen.“