Interview

«Ein erheblicher Teil der Gewalt ist importiert», sagt der Psychiater Frank Urbaniok

Manche Ausländergruppen seien deutlich krimineller als Schweizer, sagt Frank Urbaniok. Das habe viel mit kulturellen Prägungen zu tun – und müsse in der Asylpolitik endlich berücksichtigt werden.

Ladina Triaca, Simon Marti (Text), Karin Hofer (Bilder) 6 min
Drucken
«Wenn die Tochter den falschen Freund hat, kann das lebensgefährlich sein»: Frank Urbaniok über die rigiden Familienvorstellungen in manchen Kulturen.

«Wenn die Tochter den falschen Freund hat, kann das lebensgefährlich sein»: Frank Urbaniok über die rigiden Familienvorstellungen in manchen Kulturen.

Herr Urbaniok, Sie haben ein Buch geschrieben zu den Schattenseiten der Migration. Auf dem Buchdeckel ist ein Messer zu sehen. Warum so polemisch?

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Das Messer ist ein gutes Symbol, finde ich. Es soll eine unsichere Atmosphäre im öffentlichen Raum symbolisieren. Ich glaube, dass das Gefühl der Unsicherheit in den letzten Jahren stärker geworden ist. Die Leute fragen sich: Kann ich mich abends alleine am Bahnhof aufhalten? Werde ich angegriffen, wenn ich am Wochenende ausgehe? Das hat viel mit Migrationsproblemen zu tun.

Sie machen die Migration für die Kriminalität verantwortlich?

Nein, ich meine damit nicht alle Migranten. Mein Buch trägt bewusst den Titel «Schattenseiten der Migration» und nicht «Migration». Aber wenn Sie mich fragen, ob wir ein Problem mit Ausländerkriminalität haben, dann muss ich sagen: Ja, eindeutig. Angehörige von gewissen Ländern werden deutlich häufiger kriminell als Schweizer.

Welche?

Personen aus Ländern in Osteuropa und dem Balkan sind überproportional kriminell. Und bei Menschen unter anderem aus den Maghrebstaaten gehen die Zahlen durch die Decke. Für mein Buch habe ich die Kriminalitätsstatistiken für Deutschland, Österreich und die Schweiz systematisch ausgewertet. Dabei zeigt sich zum Beispiel: Afghanen werden mehr als 5 Mal, Marokkaner mehr als 8 Mal und Tunesier mehr als 9 Mal öfter als Schweizer wegen schwerer Gewalttaten angezeigt.

Wie erklären Sie sich diesen Unterschied?

Die überproportionale Kriminalität hat viel mit kulturellen Prägungen zu tun. Es geht um den Umgang mit Gewalt, das Frauenbild oder die Rolle des Rechtsstaates in diesen Ländern. Ich habe seit 33 Jahren mit Straftätern zu tun und Tausende Fälle aus nächster Nähe gesehen. Darum weiss ich, wie stark und wie relevant diese Prägungen sein können. Manchmal bestehen sie über Generationen fort.

Haben Sie ein Beispiel aus der Praxis?

Jede Menge. Ein klassisches Beispiel ist der Ehrenmord. In manchen Kulturen herrschen sehr rigide Familienvorstellungen. Wenn die Tochter den falschen Freund hat oder die Frau sich vom Mann trennt, kann das lebensgefährlich sein. Die Männer sitzen dann vor mir, sind vielleicht gut integriert und achten die Schweizer Gesetze. Aber nun sagen sie, in familiären Angelegenheiten würden höhere Gesetze gelten. Die Konsequenz ist, dass die Frauen Polizeischutz benötigen.

Auch Schweizer Männer töten ihre Ehefrauen.

Ja. Aber bei manchen Migrantengruppen kommen eben Morde dazu, die allein aus kulturellen Überzeugungen heraus entstehen. Natürlich sind das Extremfälle. Aber das Phänomen zeigt sich auch bei der übrigen Kriminalität. Personen mit bestimmtem Migrationshintergrund greifen zum Beispiel viel öfter zum Messer als Inländer.

Wenn man sich die Kriminalitätsstatistiken anschaut, stellt man fest: Männer sind viel öfter kriminell als Frauen – in Algerien genauso wie in der Schweiz. Müssten wir nicht eher über Männerrollen sprechen als über Ausländer?

Es ist kein Entweder-oder. Männer sind häufiger gewalttätig, da haben Sie recht. Aber es heisst nicht, dass die Nationalität deswegen keine Rolle spielt.

«Die SVP hat recht bei der Analyse des Problems. Sie hat nicht recht, wenn sie glaubt, man müsse nur die Grenzen kontrollieren, und alles werde gut», sagt der Forensiker Urbaniok.

«Die SVP hat recht bei der Analyse des Problems. Sie hat nicht recht, wenn sie glaubt, man müsse nur die Grenzen kontrollieren, und alles werde gut», sagt der Forensiker Urbaniok.

Aber bei den Asylsuchenden aus den Maghrebstaaten sind junge Männer beispielsweise klar übervertreten.

Das habe ich berücksichtigt. Wenn man junge Männer miteinander vergleicht, dann bleibt bei bestimmten Ausländern ein deutlicher Unterschied bestehen. Ein erheblicher Teil der Gewalt ist also importiert.

Was nützt es, wenn man gewisse Herkunftsländer pauschal unter Verdacht stellt? Es gibt auch soziale Faktoren, die beeinflussen, ob jemand kriminell wird: Bildung, Umfeld, Einkommen – und nicht der Pass.

Natürlich liegt es nicht am Pass, ob jemand Delikte begeht. Aber die kulturellen Prägungen in bestimmten Herkunftsländern spielen eine wichtige Rolle. Es gibt Länder, die unproblematisch sind, solche, die problematisch sind, und solche, die hochproblematisch sind. Und ich verstehe nicht, warum das keine Rolle spielt bei der Frage, wen wir ins Land lassen. Die Kriminalitätsquote sollte zum Beispiel bei der Beurteilung von Asylgesuchen eine Rolle spielen.

Wie stellen Sie sich das vor?

Mein Vorschlag sind Kontingente. Aus Ländern mit hohen Kriminalitätsquoten sollten wir weniger Menschen aufnehmen. Die Aufnahmeländer müssen selbst entscheiden können, welchen und wie vielen Personen sie Asyl gewähren, statt durch ein einklagbares individuelles Recht übersteuert zu werden. Denn es geht um die Balance zwischen humanitärem Engagement und der Fürsorgepflicht für die eigenen Bürger.

Sie wollen das Recht auf Asyl abschaffen?

Für mich ist klar, das europäische Asylrecht begründet ein falsches System. Die Schaffung eines absoluten Rechts auf Asyl ist falsch. Hunderte Millionen Menschen wären theoretisch dazu berechtigt, in der Schweiz um Asyl zu ersuchen, aber die könnten wir niemals alle aufnehmen. Zudem kenne ich aus der Praxis viele Fälle von Menschen, die einfach Geschichten erfinden, damit sie hierbleiben dürfen. Das ist teilweise sehr schwer überprüfbar.

Und trotzdem schickt die Schweiz afghanische Männer, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, wieder in ihr Heimatland, auch wenn dort die Taliban herrschen.

Es bleiben dennoch zu viele problematische Menschen hier. Die sehe ich in der Statistik und seit dreissig Jahren tagtäglich in meinem Beruf. Das ist unangenehm. Richtig unangenehm ist die Feststellung, dass diese Probleme auch eine Generation später noch bestehen können. Darum kann man nicht sagen, wir hätten die Sache im Griff. Im Gegenteil: Die Probleme sind gross.

Sie argumentieren mit Statistiken, aber spitzen auch zu. In Ihrem Buch schreiben Sie, man müsse den Umgang mit den Zahlen der Ausländerkriminalität als «gezielte Desinformation» bezeichnen. Ist das nicht übertrieben?

Nein. Viele haben Angst, dass die Bürger mit den Fakten nicht umgehen können. Darum sagen sie: Die Zahlen vermitteln einen falschen Eindruck, es gibt gar kein Problem mit überproportionaler Ausländerkriminalität.

Wer sagt das?

Viele. Kriminologen und Migrationsforscher zum Beispiel.

Den Kriminologen Dirk Baier nennen Sie in Ihrem Buch einen «Propaganda-Soldaten». Ein Soldat führt Befehle aus.

Man kann sich über einzelne Begriffe streiten. Ich kenne Dirk Baier gut und schätze ihn als Person. Aber ich halte es für Propaganda, wenn man sich Argumente aus den Fingern saugt, die nicht durch Studien gestützt werden, um die Probleme zu verschleiern.

Nun haben auch viele Verlage Ihr Buch als polemisch und nicht sachlich kritisiert, weshalb man es nicht publizieren könne.

Dann soll man mir die Stellen zeigen. Fakt ist, die Verlage hatten Angst um ihr Image. Aber es stimmt, die Desinformation kritisiere ich stark. Man versucht, pädagogisch auf die Bevölkerung einzuwirken, und das halte ich für falsch und schädlich für unsere Demokratie.

Vermischen Sie da nicht die Situation in Deutschland und jene in der Schweiz?

Es ist sicher so, dass die Diskussion in Deutschland schwieriger ist. Das hat auch mit der SVP zu tun. Es ist gut, dass die Partei das Thema aufbringt. Mein Wunsch wäre, dass sie stärker versuchte, überparteilich nach Lösungen zu suchen, statt die Probleme politisch zu bewirtschaften.

Sie sind in letzter Zeit zweimal an Veranstaltungen der SVP aufgetreten. Machen Sie sich keine Sorgen, von der Partei vereinnahmt zu werden?

Ich bin überzeugter Parteiloser und trat auch schon bei der SP auf. Die SVP hat recht bei der Analyse des Problems. Sie hat nicht recht, und es ist Zeichen ihrer Ratlosigkeit, wenn sie glaubt, man müsse nur die Grenzen kontrollieren, und alles werde gut.

Aber von politischen Brandmauern wie in Deutschland gegenüber der AfD halten Sie wenig?

Die AfD grenzt sich zu wenig ab von rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Kräften. Sie vertritt Positionen, etwa gegenüber Russland, die ich für untragbar halte. Ich mag ihre agitatorische Sprache nicht. Aber ich glaube, es ist falsch, wenn man versucht, eine Partei, die bei über 20 Prozent Wähleranteil steht, mit Brandmauern einzuhegen. Damit fördert man nur die radikalen Kräfte in dieser Partei. Als die Grünen anfingen, waren viele schräge Typen mit dabei. Wenn es gut läuft, zivilisiert sich eine Partei im Verlauf der Zeit. Brandmauern behindern diesen Prozess.

Zur Person

Frank Urbaniok

Frank Urbaniok

Frank Urbaniok, 62, ist der bekannteste forensische Psychiater der Schweiz. Seit mehr als dreissig Jahren hat er als Gutachter, Therapeut und Supervisor vor allem mit Sexual- und Gewalttätern zu tun. Am 17. April 2025 erscheint sein neues Buch «Schattenseiten der Migration» im Zürcher Voima-Verlag. Das Buch befasst sich mit der Kriminalität von Ausländern und anderen Migrationsproblemen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Urbaniok schlägt darin siebzehn Massnahmen für eine Wende in der Migrationspolitik vor. Der Psychiater ist in einer Arbeiterfamilie in Düsseldorf aufgewachsen, er ist deutsch-schweizerischer Doppelbürger.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»