„Scholz steht für Bankrott der Ampel. Pistorius hat diese Politik mitverantwortet“

Die K-Frage in der SPD ist noch immer nicht entschieden. Parteichef Klingbeil kündigte in der „Bild“ nun aber eine zügige Entscheidung an. „Durch die Debatte erweckt die SPD den Eindruck, der wie die Fortsetzung der Ampel wirkt“, so Thorsten Frei (CDU).
Könnte Pistorius als SPD-Kanzlerkandidat Merz gefährlich werden? Merz-Vertrauter Frei erklärt, warum er das für kaum wahrscheinlich halte. Mit Blick auf Koalitionen stellt der CDU-Mann fest: Die Union habe nicht vergessen, dass die Grünen „Treiber“ der größten Ampel-Fehlentscheidungen gewesen seien.
Thorsten Frei, 51, ist seit 2021 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU im Bundestag. Er gehört zu den engsten Beratern von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz und hat das CDU-Wahlprogramm mitverfasst.
WELT: Herr Frei, in der SPD ist eine hitzige Debatte über den Kanzlerkandidaten entbrannt. Ist das nicht auch für die Union gefährlich, weil sich statt Kanzler Olaf Scholz Vereidigungsminister Boris Pistorius durchsetzen könnte, der seit Monaten beliebteste Politiker im Land?
Thorsten Frei: Nein. Diese Debatte zeigt vor allem, dass die SPD den Dauerstreit, den wir von der Ampel-Koalition kennen, parteiintern weiterführt. Selbst in der eigenen Partei wächst die Erkenntnis, dass der Kanzler, der drei Jahre die Politik der Ampel verantwortet hat, den Erfordernissen des Amts nicht genügt.
WELT: Nun, eine Gemeinsamkeit gibt es mit den Unionsparteien: CDU und CSU setzen mit Friedrich Merz ebenfalls auf einen Kanzlerkandidaten, der in den Umfragen hinter Parteikollegen zurückliegt: Markus Söder und Hendrik Wüst.
Frei: Ich sehe keine Parallelität: Die Union steht geschlossen hinter Friedrich Merz, während sich die SPD in der K-Frage aufreibt.
WELT: Wobei die Umfragewerte der Partei besser sind, als die des Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten.
Frei: Wenn die Union in Umfragen doppelt so stark ist wie beispielsweise die SPD, dann ist das doch auch der Verdienst des Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Man kann beides nicht trennen. Ich glaube zudem, dass Friedrich Merz die Deutschen mit seiner Erfahrung, die er über lange Jahre in der Wirtschaft gesammelt hat, davon überzeugen kann, dass wir wirksame Konzepte haben, um das Land wirtschaftlich wieder stark zu machen. Und das treibt die Menschen derzeit am meisten um.
WELT: Man könnte es auch umdrehen, wie es die SPD macht, und sagen: Der Millionär und ehemalige Blackrock-Manager Merz hat doch keine Ahnung, was die kleinen Leute so umtreibt.
Frei: Ich erlebe Friedrich Merz im direkten Kontakt als bodenständig und unprätentiös. Er ist fest im Sauerland verankert. Dass einer außerhalb der Politik erfolgreich war, kann doch nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden. Wir sollten uns eher Gedanken darüber machen, wie es sein kann, dass Menschen an herausgehobener Stelle Verantwortung in der Politik übernehmen, die außerhalb der Politik nie bewiesen haben, dass sie erfolgreich etwas leisten können.
WELT: Wer wäre der Union als SPD-Kontrahent von Merz lieber: Scholz oder Verteidigungsminister Boris Pistorius?
Frei: In der SPD wird derzeit ein brutaler Machtkampf geführt. Ganz gleich, wer daraus als Sieger hervorgehen mag: Deutschland braucht einen Politikwechsel, und den verkörpern weder Olaf Scholz noch Boris Pistorius. Scholz steht für den Bankrott der Ampel. Pistorius hat als sein Minister zwei lange Jahre diese Politik im Kabinett mitverantwortet. Ich sehe nicht, dass er und die SPD bei den zentralen Themen Wirtschaft und Migration einen Kurswechsel einleiten wollen. Wichtig ist: Wir sollten uns als CDU und CSU auf uns selbst konzentrieren, das ist wichtiger, als darauf zu schielen, was die anderen machen.
WELT: Es gibt aber Stimmen in Ihrer Partei, die warnen, Pistorius zu unterschätzen. Weil er laut Umfragen der beliebteste Politiker sei, seit Monaten, weil er in der Lage wäre, die „Mitte“ gewinnen zu können, sogar Merkelianer zu überzeugen.
Frei: Das sind Spekulationen. Tatsache ist, dass Pistorius in der Verteidigungspolitik Positionen vertritt, die in seiner eigenen Partei nicht mehrheitsfähig sind. Ob er die Bundeswehr nun „kriegstüchtig“ machen oder sie mit Drohnen bewaffnen wollte, überall zeigt ihm die SPD Grenzen auf. Die Gefahr, dass uns Pistorius Wähler abspenstig macht, halte ich für viel kleiner, als die, die eigenen Leute nicht bei der Stange halten zu können.
WELT: Welche Gesetzesvorhaben wird die Union bis zur Bundestagswahl Ende Februar mit der Rest-Ampel und gegebenenfalls mit der FDP noch mittragen?
Frei: Erst muss der Kanzler die Vertrauensfrage stellen, dann führen wir fachliche Diskussionen. Wenn Regelungen keinen Aufschub dulden, verweigern wir uns nicht. Das haben wir gerade in der Frage der Bekämpfung des Wohnungseinbruchsdiebstahls bewiesen. Und ziemlich sicher werden wir mit der Rest-Ampel und der FDP das Bundesverfassungsgericht stärken. Aber wir sind nicht der Reservespieler einer rot-grünen Mannschaft, der nun ein Mann auf dem Feld fehlt.
WELT: Der Ausgleich der kalten Progression in der Einkommensteuer oder ein höheres Kindergeld finden auch in der Union große Zustimmung, warum tragen CDU und CSU das nicht mit – nur als wahltaktischen Gründen?
Frei: Erstens kann man all das rückwirkend beschließen, es gibt keinerlei Zeitdruck. Zweitens haben wir keinen verabschiedeten Haushalt, für die genannten Maßnahmen braucht man aber Geld. Und zuletzt sind beide Punkte mit mehreren weiteren Punkten im Steuerfortentwicklungsgesetz zu einem Paket verbunden, dem wir in seiner Gesamtheit nicht zustimmen können, weil es mit der Anzeigepflicht von Steuergestaltung ein bürokratisches Monstrum enthält.
WELT: Welche eigenen Gesetzesinitiativen werden CDU und CSU bis zur Wahl noch vorantreiben?
Frei: Die Rest-Ampel hat keine Mehrheit mehr, wir haben keine. Voraussetzung für neue Gesetze ist ein Bundestag, der neu legitimiert wurde.
WELT: Das heißt, die gesetzgeberische Tätigkeit steht jetzt für ein Vierteljahr still?
Frei: Das wäre aufgrund der Sommerpause auch im Fall der Bundestagswahl zum regulären Termin Ende September so gewesen. Wenn Olaf Scholz als Kanzler einer Minderheitsregierung glaubt, nun noch schnell und bis zum letzten Tag ein Paket von Gesetzen durch das Parlament bringen zu können, halte ich das für abenteuerlich und weltfremd.
WELT: CSU-Chef Söder hat nach dem Bundesparteitag der Grünen vergangenes Wochenende erklärt, trotz neuer Führungsspitze habe sich die Partei nicht gewandelt, sie sei von Vizekanzler Robert Habeck gesteuert und in keinem Fall ein Koalitionspartner. Stimmen Sie dem zu?
Frei: Wir sollten nach der Bundestagswahl analysieren, mit wem die Union am Ende die größte inhaltliche Schnittmenge hat. Wenn ich mir die Ergebnisse des Grünen-Parteitags anschaue, sehe ich da kaum etwas. Wir haben auch nicht vergessen, dass die Grünen die Treiber bei den größten Fehlentscheidungen der Ampel-Koalition waren, in der Wirtschafts- und Energiepolitik, insbesondere beim Thema Migration.
WELT: Nach dem Bruch der Ampel mehren sich Stimmen in der CDU, die vor einem Regierungsbündnis mit der FDP warnen. Wer eine Koalition so gezielt platzen lasse, könne kein Partner sein, heißt es. Sind die Liberalen als Koalitionspartner verbrannt?
Frei: Die Ampel ist nicht wegen der FDP implodiert, das ist ein Scheitern aller drei Parteien. Wenn SPD und Grüne nun versuchen, den Schwarzen Peter allein der FDP zuzuschieben, ist das ein durchschaubares Ablenkungsmanöver.
WELT: Mit den Grünen gibt es kaum Schnittmengen, die FDP kann – Stand jetzt – froh sein, überhaupt noch in den Bundestag zu kommen. Können die Sozialdemokraten also als Koalitionspartner schon mal ihr Handtuch auf der Regierungsbank ausrollen?
Frei: Mit Sicherheit nicht. Ich warne nachdrücklich davor zu glauben, dass aktuelle Umfrageergebnisse am Ende auch Wahlergebnisse sind. In drei Monaten kann viel passieren für alle Parteien – zum Positiven und Negativen.
WELT: Welche Punkte kommen für den Fall eines Wahlsieges mit Sicherheit in das angekündigte Sofortprogramm?
Frei: Wir wollen Gerechtigkeit für die Menschen, die in Deutschland etwas leisten und den Wohlstand dieses Landes erarbeiten. Dazu brauchen wir eine neue Fairness, die Leistung honoriert: Steuerfreie Überstunden, Aktivrente, eine grundlegende Reform des Bürgergeldes und eine Verbesserung der Standortbedingungen für Unternehmen durch eine Senkung der Strompreise – das werden unsere Themen sein. Darüber hinaus muss der Staat die Kontrolle über die Migration zurückgewinnen. Wir werden durch Zurückweisungen an den Grenzen einen faktischen Aufnahmestopp durchsetzen.
Politikredakteur Nikolaus Doll ist bei WELT zuständig für die Berichterstattung über die Union.