Wolodymyr Selenskyj

Scholz hat mit Putin-Telefonat „Büchse der Pandora“ geöffnet

Veröffentlicht am 16.11.2024Lesedauer: 5 Minuten

Nach langer Funkstille: Olaf Scholz hat am Freitag seine Ankündigung wahr gemacht und mit Kremlchef Wladimir Putin telefoniert. Er drängte ihn zu Verhandlungen mit der Ukraine. Kiew reagiert verärgert auf das Telefonat.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vorgeworfen, mit seinem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die „Büchse der Pandora“ geöffnet zu haben. „Das ist genau das, was Putin seit Langem will: Es ist extrem wichtig für ihn, seine Isolation zu schwächen“, erklärte Selenskyj am Freitagabend in Onlinediensten. Er bestätigte, dass Scholz ihn vorab über das Telefonat informiert habe.

Zuvor hatte bereits das Außenministerium in Kiew erklärt, nötig im Umgang mit Putin seien „konkrete und starke Aktionen, die ihn zum Frieden zwingen, und nicht Überzeugungsarbeit und Appeasement-Versuche, die er als Zeichen der Schwäche sieht und zu seinem Vorteil nutzt“.

Nach fast zwei Jahren Funkstille hatte Scholz wieder mit dem russischen Präsidenten telefoniert. Das Gespräch dauerte nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur eine Stunde. Zuerst hatte die „Süddeutsche Zeitung“ darüber berichtet.

FILE PHOTO: Russian President Vladimir Putin attends a meeting with German Chancellor Olaf Scholz in Moscow, Russia February 15, 2022. Sputnik/Mikhail Klimentyev/Kremlin via REUTERS ATTENTION EDITORS - THIS IMAGE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY./File Photo
Putin und Scholz am 15. Februar 2022 in Moskau

Steffen Hebestreit, Pressesprecher der Bundesregierung, teilte am Freitagnachmittag mit, dass Scholz in dem Telefonat den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilt und Präsident Putin aufgefordert habe, diesen zu beenden und Truppen zurückzuziehen. Er habe auf eine Bereitschaft Russlands zu Verhandlungen mit der Ukraine gedrängt – mit dem Ziel eines gerechten und dauerhaften Friedens. Außerdem habe er „die unverbrüchliche Entschlossenheit Deutschlands“ betont, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression so lange wie nötig zu unterstützen.

Putin forderte, dass ein mögliches Abkommen zur Beendigung des Ukraine-Konflikts die „neuen territorialen Realitäten“ widerspiegeln müsse. „Mögliche Vereinbarungen sollten die Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation berücksichtigen, von den neuen territorialen Realitäten ausgehen und vor allem die eigentlichen Ursachen des Konflikts angehen“, erklärte der Kreml.

Scholz und Putin vereinbarten nach den Angaben aus Regierungskreisen, „in Kontakt zu bleiben“.

Scholz bemüht sich um zweite Ukraine-Friedenskonferenz

Zuletzt hatten Putin und Scholz am 2. Dezember 2022 eine Stunde lang telefoniert. Der Kanzler bemüht sich aktuell um eine zweite Ukraine-Friedenskonferenz nach einem Gipfel in der Schweiz im vergangenen Sommer, an dem dann auch Russland teilnehmen könnte. Bisher ist dafür aber kein Termin in Sicht. Der Westen hat wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine, der im Februar 2022 begann, die Gesprächskanäle nach Moskau weitgehend stillgelegt.

Zum letzten Mal hatte Scholz Putin gut eine Woche vor dem russischen Angriff auf die Ukraine bei seinem Antrittsbesuch in Moskau persönlich getroffen. Wegen Corona saßen beide im Kreml an einem riesigen ovalen Tisch meterweit voneinander entfernt. Nach der Invasion gab es noch einzelne Telefonate, die dann aber abbrachen. Das hatte vor allem mit der russischen Kriegführung in der Ukraine und fehlender Aussicht auf konkrete Ergebnisse zu tun.

„Miteinander reden ist nie falsch, aber man muss dann auch das Notwendige sagen. Es beeindruckt Putin nicht, ihn abstrakt zum Einlenken aufzufordern, das hilft keinem Ukrainer und keiner Ukrainerin“, sagte FDP-Bundestagsfraktionsvize Michael Link WELT. „Auf die beispiellose Eskalation Putins durch den Einsatz tausender nordkoreanischer Söldner müsste jetzt eine klare deutsche Reaktion kommen z.B. durch die Lieferung von Taurus und anderen Waffensystemen.“

Scholz: „Ich mache das nicht im Alleingang“

Scholz hatte in den vergangenen Monaten immer wieder gesagt, dass er zu einem Gespräch mit Putin bereit sei. Er wolle nur den richtigen Zeitpunkt finden. In der ARD erklärte der Kanzler am Sonntag, dass dieser Zeitpunkt „demnächst“ kommen könnte. „Ja, ich habe mir vorgenommen, mit dem russischen Präsidenten zur richtigen Zeit zu sprechen. Aber ich bin ein verantwortlicher Politiker, ich mache das nicht im Alleingang.“ Ein Gespräch mit Putin setze viele Kontakte und Gespräche mit sehr vielen anderen voraus.

Der Zeitpunkt des Gesprächs dürfte mit dem bevorstehenden G-20-Gipfel im brasilianischen Rio de Janeiro zusammenhängen, zu dem Scholz am Sonntag aufbricht. Dort wird auch der russischen Außenminister Sergej Lawrow erwartet.

Putin selbst hatte am 18. Oktober seine Teilnahme am Gipfel abgesagt, um nicht „die normale Arbeit des Forums zu stören“, das andere Themen habe. Gegen Putin liegt ein internationaler Haftbefehl des Weltstrafgerichts in Den Haag vor wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine. Er würde in Brasilien eine Festnahme riskieren.

Die G20 der führenden Wirtschaftsmächte aller Kontinente ist das einzige Gesprächsformat, in dem Russland und die Nato-Staaten noch hochrangig an einem Tisch sitzen. Scholz plant dort kein Gespräch mit Lawrow. Nach Angaben aus seinem Umfeld wird er aber mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping über den Ukraine-Krieg sprechen, der als wichtigster Verbündeter Putins gilt.

Kreml sieht Nervosität im Westen nach Trumps Sieg

Russland hatte nach dem Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentenwahl erneut grundsätzliche Bereitschaft zum Dialog über die Ukraine signalisiert. Moskau sieht im Westen Nervosität mit Blick auf die Ukraine. Es sei voreilig, nun über Veränderungen der Positionen bei den Europäern zu sprechen, hieß es. „Aber es gibt offizielle Erklärungen von europäischen Vertretern, die von der Fortsetzung ihrer allgemeinen Linie sprechen, alle Arten von Unterstützung zu leisten. Und auf Russisch heißt das, Waffen in die Ukraine zu pumpen, um diesen Krieg bis zum Ende fortzusetzen“, sagte Peskow.

Trump hatte im Wahlkampf angekündigt, er werde den Ukraine-Krieg binnen kürzester Zeit durch einen Deal mit Russland beenden. Details nannte er nicht. Putin gratulierte Trump vorige Woche zum Wahlsieg und zeigte sich nach außen hin offen für einen Dialog. Zugleich betonte er, dass Trump unberechenbar sei und daher abzuwarten bleibe, was auf seine Ankündigungen folgt.

Am Montag wies Kemlsprecher Peskow einen Bericht der „Washington Post“ zurück, nach dem Putin und Trump nach der US-Wahl telefoniert haben sollen. „Es gab kein Gespräch“, sagte Peskow. „Es ist reine Fiktion, es sind einfach falsche Informationen.“ Russland sei weiter offen für Gespräche. Putin wollte aber nicht als Erster anrufen, weil nicht Russland, sondern der Westen den Kontakt abgebrochen habe.

dpa/ll/jr/tju/shem/cvb

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