Regierungskrise

Steuern, Rente, Strompreis – hier zeigen sich die Differenzen der Ampel

Autorenprofilbild von Karsten Seibel
Von Karsten SeibelWirtschafts- und Finanzredakteur
Veröffentlicht am 06.11.2024Lesedauer: 5 Minuten

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki hat vor dem Hintergrund der Ampelkrise bei WELT TV gesagt: „Es ist ziemlich albern, an einer Koalition festhalten zu wollen, bei der grundlegende Entscheidungen nicht mehr gemeinsam getroffen werden können.“

Vor einem möglicherweise entscheidenden Treffen am Abend stellt sich die Frage, ob SPD, Grüne und FDP noch einmal zusammenfinden. Die Differenzen jedenfalls sind groß, wie der Blick auf drei Grundsatzfragen der Wirtschaftspolitik zeigt. WELT erklärt die Positionen der Ampel-Partner.

Vor dem womöglich entscheidenden Treffen des Koalitionsausschusses am Mittwochabend ist nur eines sicher: Die Fähigkeit, sich gegenseitig mit Aussagen zur Weißglut zu treiben, ist bei den Vertretern der Ampel-Parteien höher denn je. Die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Ampel-Partnern in Finanz- und Wirtschaftsfragen lassen sich nicht länger kaschieren.

Die FDP fühlt sich vom Vorstoß von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) provoziert, jene zehn Milliarden Euro, mit denen die Bundesregierung eigentlich eine neue Chipfabrik von Intel fördern wollte, für die Lücken im Kernhaushalt zu nutzen.

Es gehe jetzt „nicht um das Stopfen von Haushaltslöchern, um zehn Milliarden mehr oder weniger“, schrieb Katja Hessel, FDP-Bundestagsabgeordnete und parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, auf dem Kurznachrichtendienst X. Das Land brauche jetzt einen Agenda-Moment. Habeck müsse vorschlagen, wie „er den Standort Deutschland ohne mehr Schulden oder höhere Steuern wieder fit machen“ wolle.

Bei den Grünen will man keine neue Agenda, die den Koalitionsvertrag konterkariert, als dringlichste Aufgabe sieht man dort die Verabschiedung des Bundeshaushalts 2025 an. „Wir stellen einen Milliarden-Betrag aus dem Klima- und Transformationsfonds zur Verfügung, um einer Lösung näherzukommen. Jetzt müssen sich auch die anderen beiden bewegen“, sagte Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionschef der Grünen und designierter Wahlkampfleiter Habecks. Vor allem vom Finanzminister müssten nun konstruktive Vorschläge kommen, sagte Audretsch.

Und die SPD? Auch dort hält man von den Wirtschaftswende-Plänen des Finanzministers mit Steuersenkungen für Unternehmen, Lockerungen der Klimavorgaben und Reduzierung von Subventionen und Sozialleistungen wenig.

Lesen Sie auch

So räumen Mitarbeiter der AG Wirtschaft der SPD-Bundestagsfraktion in einer internen Bewertung der Vorschläge zwar ein, dass sie ein Wirtschaftswachstum auslösen könnten. Die Vorschläge widersprächen aber „der langjährigen SPD-Position eines Wirtschaftswachstums nicht um des Wachstums willens, sondern als Grundlage für sozialen Fortschritt“.

Lesen Sie auch

Der Satz zeigt, in welch unterschiedliche Richtungen die Blicke auf das Notwendige in der Ampel-Koalition geht. Lindner spricht in seinem Papier von „einer teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen, um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden“. Vor allem an drei Punkten wird deutlich, wie groß die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Ampel-Partnern sind.

Steuern senken?

Die SPD lehnt pauschale Senkung von Unternehmenssteuern ab, weil sie diese für zu wenig zielgenau hält. Stattdessen will sie „umfassende Superabschreibungen und Steuerprämien für Unternehmen an Investitionen in Zukunftsbranchen und gute Arbeitsplätze am Standort Deutschland knüpfen“, wie es in einem Vorstandsbeschluss von Mitte Oktober heißt.

Auch die Grünen sind gegen allgemeine Unternehmensteuersenkungen. Niedrigere Steuern reizten Unternehmen zu wenig zu Investitionen. Alle profitierten, unabhängig davon, ob sie viel, wenig oder gar nicht investierten. Habeck schlug dagegen unlängst eine staatliche Prämie von zehn Prozent auf alle privaten Investitionen vor. Wobei er direkt dazu sagte, dass er nicht glaube, dass dies in der aktuellen Koalition umzusetzen sei.

Bei der FDP hält man nichts von einer Prämie. Selektive Subventionen für Investitionen seien der falsche Weg. Darin sieht man eine „ineffiziente Umlenkung von Ressourcen“. Von einer Prämie würden auch nicht erfolgreiche Unternehmen ohne Ertrag profitieren, schreibt Lindner in seinem 18-Seiten-Papier. Stattdessen will er die Investitionsbereitschaft in Deutschland durch die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und eine Körperschaftsteuersenkung stärken.

Wie die Rente sichern, aber bezahlbar halten?

Die SPD hat bei der Bundestagswahl 2021 eine langfristige Stabilisierung des Rentenniveaus versprochen. Mit dem Rentenpaket II möchte sie dieses Versprechen gegenüber der älteren Generation einlösen. Es sichert das aktuelle Rentenniveau. Dafür nimmt sie einen deutlichen Anstieg der Rentenbeiträge in den 2030er-Jahren in Kauf, wodurch die ohnehin hohe Sozialabgabenquote weiter steigen und Arbeit teurer wird.

Bei den Grünen verweist Habeck in seinem Impuls-Papier von Oktober in Zusammenhang mit der Rente lediglich auf die Wachstumsinitiative und die darin vorgesehenen Arbeitsanreize für Ältere. Dort ist unter anderem eine Rentenaufschubprämie und die zusätzliche Auszahlung von bisherigen Arbeitgeberbeiträgen an die Sozialkassen vorgesehen. Diese Punkte sind innerhalb der Ampel-Regierung unstrittig.

In der FDP gibt es wegen der hohen Kosten aber Kritik am Rentenpaket II. Der Bundesrechnungshof erwartet für die Sicherung des Rentenniveaus zusätzliche Ausgaben bis 2045 in Höhe von 500 Milliarden Euro, die zu höheren Beiträgen für viele Arbeitnehmer und höheren Steuerzuschüssen führen.

Diesen Effekt will die FDP durch zwei Maßnahmen zumindest dämpfen: Zum einen sollten die Abschläge bei einem frühzeitigen Renteneintritt und Zuschläge bei späterem Renteneintritt angepasst werden – bislang liegt der Zuschlag bei 0,5 Prozent pro Monat, der Abschlag bei 0,3 Prozent. Außerdem müsse das Mindestrentenniveau an das seit Jahren steigende reguläre Renteneintrittsalter angepasst werden. Seit Monaten sträubt sich vor allem die SPD dagegen.

Wie den Strompreis nach unten bringen?

Die SPD will „verlässlich und dauerhaft verhindern, dass die Netzentgelte für Unternehmen und Privathaushalte weiter steigen und damit Planungssicherheit für Unternehmen schaffen“, heißt es in dem Vorstandspapier. Es liege ein umfangreiches Paket für dauerhaft wettbewerbsfähige Industriestrompreise auf dem Tisch, das bereits bestehende und vereinbarte Entlastungen ergänze.

Die Grünen wollen ebenfalls Milliarden in die Hand nehmen, um den Strompreis nach unten zu subventionieren. Netzentgelte sollen so gesenkt, industrieintensive Unternehmen im Wettbewerb gestärkt und die Stromsteuer für alle grundsätzlich auf das europarechtliche Minimum reduzieren werden, schrieb Habeck. Denkbar sei darüber hinaus eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Strom.

Lesen Sie auch

Statt die Strompreise künstlich zu drücken, will die FDP vor allem aus der Subventionierung bei erneuerbaren Energien aussteigen. Die Förderung von Wind und Solar habe mittlerweile „untragbare finanzielle Dimensionen erreicht“, heißt es in dem Lindner-Papier. Daher sollten die Vergütungen in den nächsten Jahren auf null abgesenkt werden.

Dann könne auch gewährleistet werden, dass der Netz- und Speicherausbau mit dem Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen Schritt halten könne. Mit der Änderung der EEG-Umlage sollten zugleich die Netzausbaupläne angepasst werden. Als einen Kostentreiber sieht die FDP den Vorrang von Erdkabeln gegenüber Freileitungen. Durch den Bau überirdischer Leitungen werde der Netzausbau günstiger – mit entsprechend positiven Effekten auf den Strompreis.

Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.


Mehr aus dem Web

Neues aus der Redaktion

Auch interessant

Weitere Themen