Antisemitismus „so stark wie noch nie seit 1945“

Der Hamas-Angriff auf Israel habe „einen Tsunami an Antisemitismus“ ausgelöst, sagt der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung. Für gefährlich hält er die Verharmlosung des Islamismus in linken Milieus.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat sich alarmiert gezeigt angesichts des „offenen und aggressiven“ Antisemitismus in Deutschland. „Wir haben seit dem 7. Oktober einen Tsunami an Antisemitismus erlebt“, sagte Klein im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. Der Hamas-Angriff auf Israel im Oktober vor fast einem Jahr habe „die bestehenden Dämme in Bezug auf Antisemitismus in unserer Gesellschaft weiter brechen lassen“, fügte er hinzu. Dies spiegele sich in der polizeilichen Kriminalstatistik von 2023 mit rund 5000 antisemitischen Straftaten, von denen die Hälfte nach dem 7. Oktober begangen wurde.
Der offene und aggressiv auftretende Antisemitismus in all seinen Ausprägungen sei in Deutschland und weltweit „so stark wie noch nie seit 1945“. Dieses „Allzeithoch“ zeugt Klein zufolge von einer besorgniserregenden Absurdität: Denn am 7. Oktober seien „so viele Jüdinnen und Juden ermordet worden wie seit der Schoa nicht mehr“.
Der Antisemitismus sei in die Höhe geschnellt, bevor es überhaupt eine Reaktion der israelischen Regierung und Armee auf den Hamas-Angriff gegeben habe, sagte Klein weiter. Dies zeige, „dass letztlich der Antisemitismus mit dem Verhalten von Jüdinnen und Juden und auch letztlich mit dem Verhalten von Israel nichts zu tun hat“.
„Gift für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt“
Zwar habe es seit Oktober keine nennenswerte Auswanderung von Juden aus Deutschland gegeben. Auch sei laut jüngsten Umfragen das Vertrauen in die deutschen Sicherheitsbehörden groß. Dennoch sei aber jüdisches Leben derzeit „so stark unter Druck wie seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr“. Die Sicherheit jüdischen Lebens sei aber „die Grundvoraussetzung für seine Sichtbarkeit“, betonte Klein.
Der Antisemitismusbeauftragte appellierte an die deutsche Zivilgesellschaft, auf keinen Fall zuzulassen, dass Juden dafür verantwortlich gemacht werden, was im Nahen Osten passiert. Denn wie jede Form von Diskriminierung sei Antisemitismus „Gift für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt“.
Der „absolute Tabubruch“ infolge des 7. Oktober betrifft Klein zufolge alle Bereiche. Antisemitismus sei in Teilen der Gesellschaft vollends akzeptiert. Doch die „Dimension, die Ausprägung und die Hartnäckigkeit des antisemitischen Narrativs sind wirklich dramatisch“. Menschen mit einer ohnehin antisemitischen Einstellung äußerten nun aufgrund der politischen Entwicklung ihre Ansichten offener, „weil dies auf hierfür besseren Boden trifft“.
Neben dem „klassischen deutschen Antisemitismus rechter Prägung“ verortet Klein Antisemitismus dabei auch zunehmend in linken und islamistischen Milieus. Aber auch in der Mitte der Gesellschaft breiteten sich anti-israelische Haltungen aus. Dabei gerate zunehmend aus dem Blick, „dass es hier um einen Konflikt geht zwischen einer Terrororganisation, die sich nicht um das Völkerrecht schert, und einem demokratischen Staat, der sehr wohl am Völkerrecht gemessen werden will“.
„Klimaaktivisten oder queere Personen verharmlosen Islamismus“
Für besonders besorgniserregend hält Klein hierbei Allianzen zwischen verschiedenen Strömungen. Es gebe Bewegungen, die sonst nicht viel gemeinsam hätten, sich aber einig seien im Hass auf Juden und auf Israel.
„Zum Beispiel bei den Klimaaktivisten oder auch bei queeren Personen sehe ich eine Verharmlosung des Islamismus, der wirklich sehr, sehr kritikwürdig ist“, sagte Klein. Dem müsse die Politik mit Aufklärung begegnen – und auch mit Repressionen, „wenn es strafrechtlich relevant wird“.