Tödlicher Messerangriff Kanzler reist nach Solingen – Abschiebedebatte wird hitziger

Tatort im Zentrum von Solingen
Foto: Christoph Reichwein / dpaBundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besucht an diesem Montagmorgen (ab 9.30 Uhr) Solingen, drei Tage nach dem Messerangriff mit drei Todesopfern. Geplant sind unter anderem ein Gedenken an die Opfer am Ort des Anschlags sowie Gespräche mit Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) und mit Einsatzkräften. Das teilte das Bundespresseamt mit. Begleitet wird Scholz vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU).
Während die Stadt im Bergischen Land noch immer unter Schock steht, wird die Debatte über härtere Abschieberegeln und ein strengeres Waffenrecht lauter. Zugleich wird Aufklärung verlangt, weshalb die Behörden im vergangenen Jahr mit dem Versuch scheiterten, den späteren mutmaßlichen Täter abzuschieben.
Bei dem Straßenfest waren am Freitagabend außerdem acht Menschen verletzt worden, vier davon schwer. Der 26-jährige tatverdächtige Syrer Issa al H. sitzt seit Sonntagabend in Untersuchungshaft – unter anderem wegen Mordverdachts und wegen des Vorwurfs, der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) anzugehören. Die Terrormiliz reklamierte den Anschlag für sich und veröffentlichte am Sonntag ein Video, das den Täter zeigen soll. Wann das Video aufgenommen wurde und ob es sich tatsächlich um den Täter handelt, ist bislang nicht zweifelsfrei geklärt.
Nach Informationen des SPIEGEL kam der Verdächtige Ende 2022 nach Deutschland und stellte einen Antrag auf Asyl. Den Sicherheitsbehörden war er demnach bislang nicht als islamistischer Extremist bekannt. Der Asylantrag des Tatverdächtigen wurde abgelehnt. Deshalb sollte er im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden. Über das Land war er in die Europäische Union eingereist.
Die deutschen Behörden stellten ein Übernahmeersuchen. Die Bulgaren stimmten dem zu, der Syrer sollte dorthin überstellt werden. Doch der Versuch, ihn abzuschieben, scheiterte im Juni 2023. Mitarbeiter der zentralen Ausländerbehörde in Bielefeld konnten al H. nicht in seiner Flüchtlingsunterkunft in Paderborn antreffen (mehr dazu finden Sie hier ).
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) zur Arbeit der Behörden im Fall Issa al H.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst fordert eine Aufarbeitung auch innerhalb der Behörden. »Da gibt es eine Menge Fragen. Es sind auch eine Menge Behörden involviert. Das muss aufgeklärt werden, und da muss Klartext gesprochen werden, wenn da etwas schiefgelaufen ist«, sagte er in der »Aktuellen Stunde« im WDR Fernsehen. Im ZDF-»heute journal« sagte Wüst: »Wenn da irgendwo was schiefgelaufen ist, bei welcher Behörde auch immer, ob vor Ort in Bielefeld, in Paderborn oder bei Landes- oder Bundesbehörden, dann muss die Wahrheit da auf den Tisch.«
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte in der ARD-Sendung »Caren Miosga«, untergetaucht im rechtlichen Sinne sei der mutmaßliche Attentäter nicht. Denn er sei an dem Tag, an dem er abgeholt werden sollte, schlicht nicht dagewesen. »Ansonsten war er immer und häufig in dieser Einrichtung.« Er stelle sich auch viele Fragen, ob diese Verfahren richtig sind, ausreichend sind, übertrieben sind, sagte Reul.
"Seit Monaten weisen alle Innenminister darauf hin, dass wir eine große abstrakte Gefahr haben" @hreul zum Attentat von Solingen. #solingen #IS #Islamismus #miosga pic.twitter.com/ltQZefPYiz
— Caren Miosga (@CarenMiosgaTalk) August 25, 2024
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Nach einer Übersicht des Verfassungsschutzes wäre die Tat in Solingen der folgenschwerste aus mutmaßlich islamistischen Motiven begangene Anschlag in Deutschland seit dem Angriff auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin im Dezember 2016 mit damals 13 Toten und 64 Verletzten.
Ansagen der Opposition werden deutlicher
Eine Woche vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen verschärfte CDU-Chef Friedrich Merz den Ton gegenüber Kanzler Scholz und forderte einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan in Deutschland. In seinem E-Mail-Newsletter »MerzMail« schrieb er: »Nach dem Terrorakt von Solingen dürfte nun endgültig klar sein: Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen. In der Mehrzahl der Fälle sind dies Flüchtlinge, in der Mehrzahl der Taten stehen islamistische Motive dahinter.«
Im ARD-»Brennpunkt« sagte Merz: »Wenn Solingen jetzt für die Koalition nicht der Wendepunkt ist, dann weiß ich nicht, was noch passieren muss, damit hier einige Leute endlich mal zur Besinnung kommen.«
Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) sprach sich für Grenzschließungen aus, um irreguläre Migration zu stoppen. Der »Rheinischen Post« (Montag) sagte er: »Es kommen seit Jahren jeden Tag Hunderte junge Männer aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland und Europa. Das muss endlich enden.«
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in der ARD, Straftäter müssten sofort in Arrest genommen werden und das Land verlassen, insbesondere in Richtung Syrien und Afghanistan. Der Polizei müssten mehr Möglichkeiten für Kontrollen gegeben werden.

Spezialkräfte der Polizei mit dem Tatverdächtigen (am 25. August in Karlsruhe)
Foto: Ronald Wittek / EPAKanzler Scholz hatte bereits im Juni nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen.
SPD für mehr Befugnisse, aber gegen Aufnahmestopp
SPD-Chefin Saskia Esken wies Merz’ Forderung nach einem Aufnahmestopp zurück, da ein solcher Schritt »mit unseren Gesetzen auch nicht vereinbar ist, nicht mit der europäischen Flüchtlingskonvention, nicht mit unserer Verfassung«. Schwere Straftäter und islamistische Gefährder müssten aber in diese Länder abgeschoben werden können.
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach eine Ausweitung von Befugnissen der Sicherheitsbehörden an. Zu einem besseren Schutz vor Angriffen »gehört auch, dass die Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet werden«, sagte er im ZDF-»Sommerinterview«. Steinmeier forderte mehr Personal für die Sicherheitsbehörden. Bei terroristischer Gefahr sei aber auch eine Ausweitung der Befugnisse etwa des Bundeskriminalamts denkbar.
Bundesjustizminister Marco Buschmann kündigte Verhandlungen über das Waffenrecht für Messer an. »Wir werden nun in der Bundesregierung darüber beraten, wie wir den Kampf gegen diese Art der Messerkriminalität weiter voranbringen«, sagte der FDP-Politiker der »Bild am Sonntag«. Bisher hat die FDP Vorschläge von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu schärferen Regeln und Verboten abgelehnt.