Nach Terror-Razzia – Verfassungsschutz-Präsident warnt vor Anschlägen
Behörden nehmen in NRW sieben mutmaßliche Terroristen fest. Gruppe soll Anschlag geplant und versucht haben, an Waffen zu kommen. Beschuldigte kamen aus der Ukraine nach Deutschland. Verfassungsschutz warnt vor IS-Ableger in Afghanistan
Die deutschen Sicherheitsbehörden haben am Donnerstagmorgen zum Schlag gegen mutmaßliche islamistische Terroristen ausgeholt und somit womöglich Planungen für einen Anschlag vereitelt. Laut Mitteilung des Generalbundesanwaltes nahmen Beamte in Nordrhein-Westfalen sieben mutmaßliche Terroristen fest. Sie sollen Kontakte zum afghanischen Ableger der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gehabt haben.
Den Informationen zufolge sollen die Männer in Deutschland „öffentlichkeitswirksame Anschläge im Sinne des IS“ geplant und dafür mögliche Ziele ausgespäht haben. Die Gruppe soll zudem bereits versucht haben, sich Waffen zu beschaffen. „Ein konkreter Anschlagsplan bestand allerdings zum Zeitpunkt der heutigen Festnahme noch nicht“, heißt es in der Mitteilung des Generalbundesanwaltes.
Bei den Festgenommenen handelt es sich laut Mitteilung um die tadschikischen Staatsangehörigen Mukhammadshujo A., Nuriddin K., Shamshud N., Said S. und Raboni Z., sowie um den turkmenischen Staatsangehörigen Ata A. und den kirgisischen Staatsangehörigen Abrorjon K.
Nach Informationen von WELT sind die Männer zwischen 20 und 45 Jahre alt. Sie sollen sich schon lange gekannt haben. Nach dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine seien sie im Zuge der Flüchtlingsbewegungen im Frühjahr 2022 „nahezu zeitgleich“ nach Deutschland eingereist.
Ende Juni 2022 hätten sie sich in Deutschland zu einer Terrorvereinigung zusammengeschlossen. Zur Terrorgruppe „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK) hätten sie enge Kontakte gepflegt. Mit Ausnahme von Abrorjon K. sammelten die Beschuldigten laut Generalbundesanwalt seit April 2022 Geld für den IS und transferierten dieses Geld wiederholt zu der Vereinigung ins Ausland.
Zwei weitere Festnahmen habe es durch die dortigen Behörden in den Niederlanden gegeben. „Der Einsatz ging auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zurück und war zudem eng mit Ermittlungsbehörden in den Niederlanden koordiniert“, heißt es in der Mitteilung des Generalbundesanwaltes.
Insgesamt gab es 15 Durchsuchungen. Die Beamten wurden in Bielefeld, Bornheim, Düsseldorf, Ennepetal, Gelsenkirchen, Gladbeck, Kamen, Lippstadt, Warendorf und Witten aktiv, wie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) Donnerstagmittag in Düsseldorf erklärte. Reul sagte, die Beschuldigten seien regelmäßig zwischen Deutschland und den Niederlanden hin- und hergereist.
Alle sieben nun Festgenommenen seien als islamistische Gefährder eingestuft. Die Tatverdächtigen hätten Ziele gesucht und ausgekundschaftet. „Sie haben sich sehr konspirativ verhalten“, sagte Reul weiter. Zudem hätten die Behörden Geldtransfers ins Ausland beobachtet. „Das sind dann so stellen, an denen man was bemerkt“, sagte Reul. Er gehe zudem davon aus, dass die nun ausgehobene Zelle „nicht das ganze Problem“ umfasse.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, den Behörden sei „ein bedeutender Schlag gegen den islamistischen Terrorismus“ gelungen. „Deutschland steht weiterhin im unmittelbaren Zielspektrum islamistischer Terrororganisationen und von islamistisch motivierten Einzeltätern“, sagte Faeser. Die Bedrohung bleibe „akut“.
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, warnte bereits kürzlich bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes für das vergangene Jahr, dass der ISPK auch für Deutschland und Europa eine Gefahr darstelle. „Das Erstarken dieser Gruppe in Afghanistan verstärkt die Gefährdungslage in Deutschland“, sagte Haldenwang am Donnerstag auf Anfrage von WELT. „Wir sehen den grundsätzlichen Willen des ISPK, Anschläge gegen westliche Länder, auch gegen Deutschland, zu planen und durchzuführen, um sich zu profilieren.“
Haldenwang verwies darauf, dass bereits im September vergangenen Jahres zwei Personen verhaftet wurden, die den Ermittlungen zufolge in Anschlagsplanungen des ISPK involviert waren. Das BfV werde die Strukturen und Anhänger des ISPK in Deutschland in Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden weiterhin aufklären. Die Gefahr des islamistischen Terrorismus sei nicht gebannt. „Auch in Deutschland kann jeden Tag ein islamistischer Anschlag verübt werden“, sagte Haldenwang. Die Sicherheitsbehörden seien wachsam und hätten „alle möglichen Szenarien auf dem Schirm.“
Auffangbecken für Dschihadisten und Afghanistan und Pakistan
Der ISPK war zuletzt immer mehr in den Fokus der Sicherheitsbehörden gerückt. Er gilt als die derzeit womöglich schlagkräftigste Teilorganisation des IS. Gegründet wurde die „Provinz Khorasan“ im Jahr 2014. Sie entwickelte sich zu einem Auffangbecken für Dschihadisten aus Afghanistan und Pakistan, aber auch für Islamisten aus dem Kaukasus. Es folgte ein unerbittlicher Bruderkrieg, in dem die Taliban – trotz ihrer ebenfalls islamistischen Ideologie – zum Hauptfeind des ISPK wurden.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine habe den Terroristen des ISPK in die Hände gespielt, hieß es bereits vor etlichen Monaten im Umfeld der Sicherheitsbehörden. Denn unter die Flüchtlinge könnten sich Menschen aus Staaten wie Tadschikistan, Usbekistan oder Kirgistan mischen, so die damalige Befürchtung, die sich nun offenbar bewahrheitete.
Laut Generalbundesanwalt werden die Beschuldigten nach den Festnahmen in NRW noch am Donnerstag und Freitag dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt. Dieser solle ihnen die Haftbefehle eröffnen und über den Vollzug der Untersuchungshaft entscheiden.