Messer-Anschlag in Mannheim: Sprengt dieses Foto die Europawahl?
Der afghanische Messer-Angreifer setzt mit dem Kampfmesser zum ersten Stich in den Hals des Polizisten an, der gerade den Mann in der blauen Jacke festhält. Der hatte irrtümlich auf einen Helfer (rechts) eingeschlagen, der den Attentäter fixiert hatte
Es ist ein Anschlag mit großer politischer Sprengkraft: Am Freitag stach in Mannheim ein 25-jähriger Afghane, ein mutmaßlicher Islamist, auf den Islamkritiker Michael Stürzenberger (59) ein, tötete Polizist Rouven L. (†29).
Damit stehen kurz vor der Europawahl (9. Juni) die Themen Migration, Integration und Islamismus wieder im Fokus! Historiker und Politik-Experte Andreas Rödder (56, Uni Mainz) erklärt in BILD: „Je mehr Probleme im Zusammenhang mit Migration sichtbar werden, desto stärker wird der Zulauf zu den Parteien, die Abhilfe versprechen. Ich zweifle, dass die Parteien der Mitte verstanden haben, was sich hier zusammenbraut.“
Die Polit-Diskussion ist schon in vollem Gange. Konservative Parteien fordern ein härtestes Durchgreifen des Staates gegen Islamisten. In rechtsextremen Kreisen wird der Anschlag hemmungslos ausgeschlachtet. Andere versuchen, bloß keine Islamismus-Debatte zuzulassen.
Grünen-Politikerin kritisiert zuerst das Opfer
▶︎ CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann (46) sagte zu BILD: „Bislang kannten wir solche Attentate vor allem aus Frankreich, wo der politische Islam schon ganze Stadtteile beherrscht.“ Deutschland habe ein „massives“ Islamismus-Problem.
▶︎ Ganz anders der Chef des Zentralrats der Muslime, Ayman Mazyek (55): Er teilte einen Beitrag, der vom mutmaßlich islamistischen Attentäter ablenkte. Darin heißt es, dass die Sanitäterin, die Stürzenberger versorgte, Muslima sei. Ebenso der Polizist, der den Angreifer anschoss. Dabei ist die Religionszugehörigkeit des Beamten nicht bekannt.
▶︎ Grünen-Politikerin Lamya Kaddor (46) übte nach dem Angriff zunächst heftige Kritik am Opfer. Stürzenberger sei „ein bekannter ‚Islamkritiker‘, der durchaus Abwertendes und Hasserfülltes zum Islam kundtut“. Erst dann verurteilte sie die „Gewaltanwendung“.
Extreme nutzen das Horror-Foto aus
Vor allem das dramatischste Foto des Anschlags wird im Netz zum Politikum. Es zeigt den Moment des Messer-Angriffs auf den Polizisten. Dabei kniet der Beamte auf einem anderen Mann, der sich als Angehöriger von Stürzenbergers Gruppe entpuppte. Von Rechtsextremen wird das für die eigene Agenda instrumentalisiert.
Sie sehen die Aufnahme als Symbol der deutschen und westlichen Gesellschaften. Motto: Anstatt den Angreifer zu bekämpfen, stürzt sich der deutsche Polizist auf einen deutschen Islamkritiker – und wird schließlich selbst zum Opfer des Messer-Manns.
Entsprechende Karikaturen und Viral-Fotos wurden tausendfach geteilt.
Was die Ideologen unterschlagen: In der chaotischen Lage konnte der Polizist nicht wissen, wer wirklich der Messer-Mann war. Er stürzte sich auf einen Mann, der irrtümlich auf einen anderen eingeschlagen hatte. Keiner der beiden war der Angreifer. Der Messer-Terrorist nutzte das Chaos aus und stach auf den Polizisten ein.
Was bedeutet der Anschlag für die Europawahlen?
Die große Frage: Welche politischen Folgen hat der mutmaßlich islamistische Messer-Anschlag auf einen Islam-Gegner vor der Europawahl?
Außenpolitik-Experte Thomas Jäger (63, Uni Köln) zufolge könnte die von Skandalen erschütterte AfD auf den letzten Metern profitieren. „Der Anschlag von Mannheim hilft der Partei, denn mit einem Schlag steht eines ihrer wichtigsten Themen wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit“, sagt Jäger zu BILD. Denn dies sei „ein Thema, mit dem sie immer wieder die Wut ihrer Wähler entfachen“ konnte.
Die AfD-Spitze schaltete sofort nach dem Anschlag in den Wahlkampf-Modus. Partei-Chefin Alice Weidel (45) verbreitete ein gefälschtes Zitat von Innenministerin Nancy Faeser (53, SPD), in dem diese den Rechtsextremismus verantwortlich machte – ein Fake. Als Weidel erwischt wurde, gab sie den Fehler zu, erklärte aber: „Der Tenor bleibt dennoch richtig …“
Die Frage sei, so Jäger, ob sich „Wähler von ihrer gegenwärtigen Wut mehr leiten lassen als von Kandidaten abschrecken lassen, die eher Russlands und Chinas Interessen vertreten als die Europas“.
Der Deutsche Presserat hält in diesem Beitrag den Persönlichkeits-schutz von Opfer und Täter ausdrücklich für gewahrt. Es bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Identität des Täters: "Bei dem Messerangriff von Mannheim handelt es sich zweifelsohne um eine außergewöhnlich schwere Tat, die zudem noch in aller Öffentlichkeit geschehen ist", meint der Presserat. Es sei auch kein Verstoß gegen den Opferschutz nach Richtlinie 8.2 Pressekodex gegeben, denn der getötete Polizist sei auf allen Fotos nicht erkennbar. Indes rügt der Presserat die Darstellung als einen Verstoß gegen Ziffer 11 Pressekodex (Sensationsberichterstattung). Die Ausschnitte aus dem Internet-Video zeigten „den Vollzug einer Hinrichtung eines Menschen, welcher hinterrücks erstochen wird“. Derart Aufnahmen seien nicht mehr von einem öffentlichen Berichterstattungsinteresse gedeckt, sie könnten Gefühle von Angehörigen sowie den Jugendschutz verletzen. BILD teilt diese Einschätzung nicht, weil es sich bei den Fotos um wichtige Dokumente der Zeitgeschichte handelt, die von historischer Bedeutung sind und deshalb von den Medien auch weiterhin unverändert vorzuhalten sind.