Ukraine-Krieg

Scholz erklärt Taurus-Absage – „Menschen hoffen, dass der Kanzler die Nerven behält“

Veröffentlicht am 28.02.2024Lesedauer: 4 Minuten

Kanzler Scholz hat der Taurus-Lieferung an die Ukraine erneut eine Absage erteilt und begründete dies mit dem Risiko einer Kriegs-Verwicklung. Oberst a.D. Wolfgang Richter versteht die Sorge und sagt bei WELT TV: „Es braucht eine verantwortungsvolle Politik, dass der Krieg nicht weiter eskaliert.“

Seit Langem fordert die Ukraine Taurus-Marschflugkörper von Deutschland. Jetzt begründet Bundeskanzler Olaf Scholz erstmals ausführlich seine Haltung. Außerdem macht er Kremlchef Wladimir Putin für den Tod von Alexej Nawalny verantwortlich.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt eine klare Absage erteilt und dies mit dem Risiko einer Verwicklung Deutschlands in den Krieg begründet. „Wir dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein“, sagte er am Montag bei der dpa-Chefredaktionskonferenz. Deshalb stehe dies nicht als Handlungsoption als nächstes auf der Tagesordnung. „Ich wundere mich, dass einige nicht einmal darüber nachdenken, ob es zu einer Kriegsbeteiligung kommen kann durch das, was wir tun.“

Der Taurus ist einer der modernsten Flugkörper der Luftwaffe. Die Präzisionswaffen können Ziele in 500 Kilometern Entfernung treffen. In diesem Radius liegt von der russisch-ukrainischen Grenze aus gesehen Moskau. Die ukrainische Regierung hat bereits im Mai vergangenen Jahres um die Lieferung der Marschflugkörper gebeten, um die russische Logistik weit hinter der Front treffen können. Auch die Union fordert die Lieferung der Taurus-Raketen. Die Koalitionspartner des Kanzlers, Grüne und FDP, sind ebenfalls größtenteils dafür. Ein Bundestagsbeschluss, in dem die Lieferung von Taurus gefordert wird, scheiterte aber in der vergangenen Woche.

Scholz hatte bereits im Oktober entschieden, die Taurus-Raketen vorerst nicht in die Ukraine zu schicken, es aber öffentlich nie im Detail begründet. Hinter seiner Skepsis steckt die Befürchtung, dass russisches Territorium getroffen und Deutschland damit in den Krieg hineingezogen werden könnte. Franzosen und Briten versuchen das zu verhindern, indem sie ihre an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper der Typen Scalp und Storm Shadow selbst programmieren. Es gibt Spekulationen, dass zumindest Großbritannien dafür Personal in der Ukraine stationiert hat. Offiziell bestätigt wurde das nie.

Der Kanzler erklärte: „Es ist eine sehr weitreichende Waffe. Und das, was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden. Das weiß auch jeder, der sich mit diesem System auseinandergesetzt hat.“ Er sei verwundert darüber, dass diese Frage immer wieder gestellt werde.

Er sei „sehr irritiert“ über die „fehlende Balance“ zwischen dem, was jetzt wirklich erforderlich sei, und der Debatte über dieses eine System. „Was der Ukraine fehlt, ist Munition in allen möglichen Längen und Distanzen, aber nicht entscheidend diese Sache aus Deutschland“, sagte er auf Nachfragen zum Thema Taurus. Scholz erklärte weiter, der „Sprech“, es werde gezögert, sei ein Problem in Deutschland. „Ganz viele Menschen schauen abends Fernsehen und hoffen, dass der Kanzler die Nerven behält“, meinte Scholz.

Scholz macht Putin für Nawalny-Tod verantwortlich

Scholz machte am Montag erneut den russischen Präsidenten Wladimir Putin für den Tod des Kremlgegners Alexej Nawalny verantwortlich. „Auch ich gehe wie alle anderen davon aus, dass es das Regime war, das ihn getötet hat“, sagte er. Russland sei eine Diktatur. „Sein Tod ist jetzt die Konsequenz einer Diktatur.“

Nawalny war am 16. Februar nach Behördenangaben im Straflager mit dem inoffiziellen Namen „Polarwolf“ in der sibirischen Arktisregion Jamal gestorben. Die Umstände seines Todes sind nicht geklärt. Der durch den Giftanschlag und wiederholte Einzelhaft im Lager geschwächte Politiker soll bei einem Rundgang auf dem eisigen Gefängnishof zusammengebrochen und trotz Wiederbelebungsversuchen gestorben sein. Nach Angaben von Nawalnys Team ist im Todesschein von „natürlichen“ Ursachen die Rede.

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Es sei schwer zu sagen, ob Nawalnys Tod die Opposition schwächen oder stärken werde, sagte Scholz. „Auf alle Fälle ist klar, dass all diejenigen, die oppositionell sind, sehr viel Mut brauchen.“ Dies sei noch gefährlicher geworden als bei seinem letzten Besuch in Moskau. „Gleichzeitig sehen wir, dass sich der russische Präsident und alle die, die ihn politisch unterstützen, sehr fürchten.“ Das sei daran zu sehen, dass der einzige Bewerber für die Präsidentschaftswahl mit oppositioneller Zustimmung von der Wahl ausgeschlossen worden sei.

Nawalny sollte laut Verbündeter gegen Tiergartenmörder ausgetauscht werden

Nawalny sollte nach Angaben einer Mitstreiterin gegen den in Deutschland einsitzenden „Tiergartenmörder“ Wadim Krassikow ausgetauscht werden. Zudem hätten auch zwei US-Staatsangehörige Teil des Gefangenenaustauschs sein sollen, sagte die Nawalny-Verbündete Maria Pewtschich in einem YouTube-Video am Montag. Die Gespräche über den Austausch seien zum Zeitpunkt von Nawalnys Tod kurz vor ihrem Abschluss gewesen. „Alexej Nawalny könnte genau jetzt, genau heute, auf diesem Platz sitzen.“

Bei wem es sich um die beiden US-Staatsbürger handeln sollte, sagte Pewtschich nicht. Krassikow ist zu lebenslanger Haft verurteilt worden wegen des Mordes an einem Georgier im Berliner Tiergarten im Jahr 2019. Eine Sprecherin der Bundesregierung lehnte eine Stellungnahme zu den Angaben ab.

dpa/tba/shem

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