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Mächtig lauter Protest in Berlin Vereint im Zorn über die Ampel

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"Schluss mit dem gehAMPEL", war eine der milderen Aufforderungen nach einem Regierungsrücktritt.

"Schluss mit dem gehAMPEL", war eine der milderen Aufforderungen nach einem Regierungsrücktritt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Bauernprotest in Berlin geht weit über die Landwirte hinaus. Nicht nur frustrierte Spediteure und Handwerker reihen sich ein. Sie alle eint die Forderung nach einem Ende der Regierungskoalition. Wo bei vielen Demonstranten nachvollziehbarer Frust herrscht, ist es bei manchen blanker Hass.

Vor dem Höhepunkt der Bauernproteste in Berlin müssen die Landwirte erst einmal das Gegenteil dessen tun, wofür sie in die Hauptstadt gekommen sind: die Ampel schützen. Die Rede des Präsidenten des Deutschen Bauernverbands (BDV), Joachim Rukwied, könne erst beginnen, wenn niemand mehr auf den Ampelmasten vor dem Brandenburger Tor herumklettere, informiert die Versammlungsleitung via Mikrofon. Es folgen Pfiffe, Gejohle, ein paar "Die Ampel muss weg"-Rufe, dann sind die Masten geräumt und Rukwied begrüßt über viel zu schwache Lautsprecher "30.000" Demonstranten, die den Platz des 18. März und die Straße des 17. Juni füllen. Die Polizei sprach dagegen am Mittag von 8500 Teilnehmern.

Landwirt Tammo Tempin ist mit seinem Traktor aus Schleswig-Holstein in 13 Stunden nach Berlin gefahren.

Landwirt Tammo Tempin ist mit seinem Traktor aus Schleswig-Holstein in 13 Stunden nach Berlin gefahren.

Weiter hinten, wo Hunderte Traktoren und Lastwagen auf den insgesamt sechs Fahrspuren bis hin zur Siegessäule parken, ist Rukwied nicht mehr zu hören. Umso dichter drängen sich die Demonstranten - Menschen allen Alters und aus allen Bundesländern - vor der Bühne. Wer nur noch auf den Sandwegen am Rand zum Tiergarten Platz gefunden hat, steht im Matsch. Aber zumindest die vielen hier versammelten Landwirte sind das ja gewohnt. Zudem sind die meisten Demonstranten in wetterfester Arbeitskleidung und mit robustem Schuhwerk erschienen.

Die Arbeitsjacken geben oft Auskunft über Herkunft und Arbeitgeber ihrer Träger. Agrarbetriebe, Molkereien, Förster, Waldarbeiter, Zimmerer, Lastwagenfahrer: Es sind vor allem Männer zwischen 30 und 60 Jahren gekommen, die körperlich arbeiten - und die auch schon mal am Montagvormittag ein Bier vertragen, wenn der Tag wegen der langen Anfahrt um vier Uhr morgens und früher begonnen hat. Viel wichtiger, als die Reden zu hören, ist den Versammelten ohnehin der Lärm, den sie selbst machen. Trommeln und Tröten ist Berlin von den wöchentlich stattfindenden Demos gewohnt. An diesem nasskalten Montag aber heulen ausrangierte Feuerwehrsirenen aus DDR-Beständen von den Traktoren weit über den Regierungsbezirk hinaus. Hinzukommt der Lärm motorisierter Kettensägen ohne Kette. Es ist mächtig laut.

"Wir wollen uns Gehör verschaffen"

Die Bauern und Beschäftigten der Landwirtschaft bilden aber nur die größte Berufsgruppe unter den Demonstrationsteilnehmern. Auch das Speditionsgewerbe, das sich gegen die Mauterhöhung sowie marode Straßen und fehlende Pausenplätze wehrt, und das Handwerk sind zahlreich vertreten. Dazu kommen das Gastgewerbe, das gegen das Ende der verminderten Mehrwertsteuer von 7 Prozent protestiert, sowie allerlei Trittbrettfahrer. So unterschiedlich Motivation und Forderungen der Teilnehmer im Einzelnen sind, gibt es doch einen klar erkennbaren, gemeinsamen Nenner: Die Demonstranten wollen die regierende Ampel-Koalition nicht länger an der Regierung sehen, insbesondere die Grünen nicht. Die Partei hat ihre Wähler vor allem unter Akademikern in den Städten, darüber hinaus gilt sie vielen offensichtlich als der Leibhaftige.

Gegen eine ideologische Politik der Ampel-Regierung demonstriert auch Manuel Geyer. Der Geschäftsführer einer Agrargenossenschaft in der Nähe von Weimar räumt ein, es gehe "gar nicht mehr nur um den Agrardiesel". Mit der geplanten Abschaffung des verminderten Steuersatzes habe die Ampel aber "das Fass nur zum Überlaufen gebracht", sagt der 43-Jährige. "Wir wollen uns Gehör verschaffen, damit der Mittelstand, diejenigen, die jeden Tag arbeiten und den Wohlstand schaffen, wieder ernst genommen werden."

Überbordende Bürokratie, zu viele Auflagen, steigende Kosten: Wie solle die deutsche Landwirtschaft da in einem Weltmarkt bestehen, der die Preise setzt? "Wir möchten unseren Leuten auch gerne 20 Euro, 25 Euro Stundenlohn zahlen", sagt Geyer. "Das haben die auch verdient." Der Mann aus Thüringen, wo in diesem Jahr Landtagswahlen sind, warnt: "Der AfD und dem rechten Lager werden die Leute in die Arme getrieben." Umweltschutzauflagen wie die Pflicht zur Stilllegung von 4 Prozent der Ackerflächen als Auflage für staatliche Direktzahlungen, kann Geyer nicht nachvollziehen.

"Ich will mit den Tieren arbeiten, nicht mit dem Computer"

Martin Lönne-Aelmig berichtet von überbordenden bürokratischen Anforderungen.

Martin Lönne-Aelmig berichtet von überbordenden bürokratischen Anforderungen.

So geht es auch Daniel Tetz, Angestellter eines Milchviehbetriebs im Wesermarschland. Für die stillgelegten Flächen gebe es zwar auch Ausgleichszahlungen, aber es sind eben auch Pacht und Grundsteuer zu entrichten. "Wie soll man da noch wirtschaften?", fragt Tetz mit Blick auf die wachsende Abgabenlast der Landwirte. Hinzukomme die ausufernde Bürokratie. "Mein Chef verbringt die Hälfte der Zeit im Büro, der Bauer wird zum halben Bürokaufmann." Auch Tammo Tempin aus dem Kreis Obergönne-Wesermarsch klagt: "Wir haben zu viel Papierkram zu erledigen." Der selbstständige Landwirt Martin Lönne-Aelmig aus Soest schimpft: "Ich will mit den Tieren arbeiten, nicht mit dem Computer." Er könne den viele Meldepflichten zu seinem Viehbestand kaum noch nachkommen.

In den Gesprächen bleibt unklar, von welcher Partei sich die Landwirte eine bessere Politik versprechen. Nach einer Rückkehr von CDU und CSU ins Kanzleramt und Agrarministerium ruft von sich aus keiner der Gesprächspartner. Die vielen Plakate, die ein Ende der Ampel-Regierung fordern, werden erkennbar auch von den vielen Demonstrationsteilnehmern aus anderen Branchen getragen. Die Sprache ist zum Teil rüde: "Politikpack abschaffen", heißt es da etwa. Ein Spediteur hat auf seinen Sattelschlepper geschrieben. "Manchmal muss man das Schiff erst versenken, um die Ratten loszuwerden." Es ist dieser Ton, vor dem sich zuletzt viele erschrocken haben. Er zeigt aber auch, wie fremd die Bundespolitik vielen Menschen geworden ist oder immer schon war, die in der Fläche des Landes körperlich schwerer Arbeit nachgehen.

"Die Regierung soll abtreten"

Ein von vielen Demonstranten fotografierter Mann hat sich als Gevatter Tod verkleidet, hat an seiner Sense die Ampel hängen. Mit Journalisten reden will er nicht. Geht es ihm um die Abwahl der Ampel oder wünscht er den Politikern tatsächlich den Tod? Er sagt nichts und zeigt mit vielsagender Miene auf die Sense. Dann sagt er doch: "Diese Regierung ist der Tod Deutschlands." Ein anderer Mann trägt einen Holzbalken durch die Menge, an dem die Ampel hängt. Es sieht aus wie ein Galgen. "Das ist ein Ampelmast", widerspricht der 34-jährige Sebastian aus Bautzen lachend. Seinen Nachnamen will er lieber nicht nennen. "Die Regierung soll abtreten", sagt der gelernte Landwirt, der aber seit zehn Jahren in der Industrie arbeitet. Er wolle "Neuwahlen sofort" und hofft bei der nächsten Wahl in Sachsen auf die AfD. Dass sich die CDU einer Zusammenarbeit mit der Partei verweigert, findet Sebastian falsch und undemokratisch.

Seit Wochen warnen Politiker vor einer Unterwanderung der Bauernproteste durch rechtsradikale Kräfte, auch der Deutsche Bauernverband will sich keinesfalls von Dritten instrumentalisieren lassen. Von "Umsturzfantasien" sprach etwa der grüne Vize-Kanzler Robert Habeck in diesem Zusammenhang sowie von Wladimir Putin bezahlter Propaganda. Landwirt Tetz aus der Wesermarsch schüttelt darüber den Kopf. "Die sollen einfach unsere Forderungen erfüllen", sagt er mit Blick auf Abgabenlast und Bürokratie. Johanna Düsen, deren Familie ebenfalls in der Wesermarsch einen Milchviehbetrieb hat, berichtet, dass sich die Landwirte in ihrer gemeinsamen Whatsapp-Gruppe klar von radikalen Kräften distanzierten.

Trittbrettfahrer mischen sich unter

Doch wer sich auf der Demo in Berlin umschaut, entdeckt immer wieder Menschen, die erkennbar dem Rechtsaußenlager angehören: Männer, die rechte Modemarken wie Thor Steinar und Ansgar Aryan tragen. Einer schwenkt die Fahne des Königreichs Preußen. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Frank Rinck lässt Flyer an Traktoren anbringen. Aber auch bibeltreue Christen verteilen Info-Zettel, in denen sie sich zu den Bauern bekennen. Menschen mit Querdenker-Button sind zu entdecken, jemand hält ein Plakat für den Erhalt des Bargelds hoch. Aktivisten der Friedensszene stellen einen Zusammenhang zwischen deutschen Milliardenzahlungen an die Ukraine und der Not der Bauern her. Auch der russische Journalist Iwan Blagoj, der in Deutschland Kreml-Propaganda wie im vermeintlichen Entführungsfall Lisa produziert, ist auf Stimmen- und Bilderfang.

Die zwei Angestellten des fränkischen Restaurants "Brückenbeck" berichten von einer völlig überarbeiteten Chefin.

Die zwei Angestellten des fränkischen Restaurants "Brückenbeck" berichten von einer völlig überarbeiteten Chefin.

Die Bauernverbände haben keinen Einfluss darauf, wer sich auf ihrem Protest in der Hauptstadt alles einreiht. Doch Traktoren mit Plakaten, die gegen eine "Kriegstreiberei" der Bundesregierung wettern, deuten auf echte Schnittmengen zwischen radikaleren Kräften und zumindest einem Teil der Landwirte, Spediteure und Handwerker. Typisch auch die Forderung: "Unser Land zuerst!" Die Erzählung, die Bundesregierung verschenke viele Milliarden Euro ans Ausland, während der Mittelstand geschröpft werde, ist über alle Lager hinweg zu hören. Diese Wahrnehmung wird offensichtlich breit geteilt. Zugleich werde alles teurer.

Akute Sorgen, scharfe Ablehnung

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Letzteres treibt auch die vielen Demonstranten aus der Gastronomie um. "Die Leute bestellen keine Vorspeisen mehr, keine Salate. An Weihnachten hatten wir schon eine Gruppe, die haben die Kuchengabeln beiseitegelegt, die wollten keinen Nachtisch. Die Leute geben viel weniger Trinkgeld", berichtet eine Kellnerin, die ihren vollen Namen lieber nicht nennen will. Sie demonstriert gemeinsam mit ihrer 60-jährigen Kollegin gegen die wieder auf 19 Prozent erhöhte Mehrwertsteuer für die Gastronomie. Beide haben Sorge, dass ihre Chefin das Hotel im fränkischen Arnstein nach mehr als 20 Jahren schließen könnte. Die ältere der beiden fürchtet sich vor baldiger Altersarmut. "Ich habe acht Kinder großgezogen und was ist der Dank dafür?" Sie rechne mit 300 Euro Rente.

So mischen sich im leichten Berliner Schneeregen Menschen mit akuten Zukunftssorgen mit Aktivisten, Mittelständler und Arbeitnehmer, die sich von der Politik nicht vertreten fühlen, mit Berufspolitikern. Zahlreiche Unionsabgeordnete zeigen Gesicht, darunter die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Von der Ampel lässt sich nur Bundesfinanzminister Christian Lindner blicken, nachdem Agrarminister Cem Özdemir schon bei der letzten Bauerndemo in Berlin sein Gesicht hinhielt. Lindner wird gnadenlos ausgepfiffen. Dabei hat seine Regierung einen Teil der geplanten Mehrbelastungen schon zurückgenommen und will nun über Bürokratieabbau und andere Erleichterungen für die Landwirte reden. Sie wird es schwer haben, bei den Demonstranten mit diesem Angebot durchzudringen.

Quelle: ntv.de

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