Thüringens Innenminister regt Verfassungsänderung an, um AfD-Ministerpräsident zu verhindern
Vor den Landtagswahlen schlägt Thüringens Innenminister eine Anpassung des Verfassungsartikels zur Ministerpräsidentenwahl vor – die jetzige Formulierung schließe nicht aus, dass ein Kandidat mit nur einer Stimme gewählt werde. Das Land drohe, „in ein Desaster hinein zu schlafwandeln“.
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) schaut angesichts des Zuspruchs für die AfD mit großer Sorge auf die Landtagswahlen im kommenden Jahr. „Die Demokratie ist unter Druck. Und zwar auf eine Art, die wir bisher nicht kannten“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“ (Donnerstag). „Die Rechtsextremisten der AfD um Björn Höcke versuchen, die Demokratie mit allen Mitteln von innen heraus auszuhöhlen.“ Höcke ist AfD-Landeschef und Fraktionschef im Thüringer Landtag. „Wir Demokraten müssen uns dem Kampf stellen, für den wir bislang noch schlecht gerüstet sind“, sagte Maier.
Der SPD-Politiker sprach sich zum Beispiel für eine Präzisierung des Verfassungsartikels in Thüringen zur Ministerpräsidentenwahl aus. Seiner Ansicht nach schließt die jetzige Formulierung nicht aus, dass ein Kandidat im dritten Wahlgang mit einer einzigen Stimme gewählt wäre, obwohl alle anderen Abgeordneten gegen diesen stimmen. „Wir müssen die Verfassung wetterfest machen“, sagte Maier. Dies müsse sehr schnell geschehen. Er mahnte: „Ich habe manchmal das Gefühl, wir schlafwandeln in ein ziemliches Desaster hinein und wachen am 2. September in einem autoritären System auf.“
Die Diskussion über die Ministerpräsidentenwahl in der Thüringer Verfassung ist viele Jahre alt. Während in den meisten Bundesländern die Wahl des Regierungschefs als ein Akt ohne große Überraschungen gilt, gab es in Thüringen immer wieder Streit, Unsicherheiten und Probleme.
Im Kern steht dabei die Frage, ob ein Kandidat, der im dritten Wahlgang alleine antritt, auch mit mehr Nein- als Ja-Stimmen gewählt werden kann. Im dritten Wahlgang ist laut Landesverfassung nur noch eine relative Mehrheit nötig. Bedeutet: Derjenige Kandidat, der die meisten Stimmen bekommt, wird Ministerpräsident. Wenn aber nur ein Kandidat antritt, kann es sein, dass er mehr Nein- als Ja-Stimmen bekommt. Nach Einschätzung einiger Experten wäre dieser Kandidat dann trotzdem gewählt, aber es gibt auch gegensätzliche Stimmen.
„SPD im Bund hat Thema Osten viele Jahre vernachlässigt“
In den drei ostdeutschen Länder Thüringen, Sachsen und Brandenburg finden nächstes Jahr Landtagswahlen statt, in allen drei Ländern war die AfD in Umfragen zuletzt Nummer eins. Der AfD-Landesverband Sachsen wurde kürzlich vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft, in Thüringen ist die Landes-AfD schon länger so eingestuft. In Thüringen führt Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) derzeit eine Minderheitsregierung von Linke, SPD und Grünen.
Die Menschen wählten die AfD mittlerweile nicht mehr als Protestpartei. „Ein Großteil der Wähler ist inzwischen überzeugt von ihrer Haltung“, sagte Maier. „Mit Sorge erfüllt mich, dass wir mit der Annahme falschlagen, ihr Wählerpotenzial ende bei 20 oder 25 Prozent. Inzwischen wird deutlich, dass es diesen Deckel nicht mehr gibt.“ Viele Menschen hätten große Sorgen wegen der vielen Krisen. Phasenweise hätten sie sich auch noch Sorgen machen müssen um existenzielle Fragen wie: Habe ich genug Geld um zu heizen?
Im Osten verdienten die Menschen durchschnittlich 25 Prozent weniger, das Vermögen sei nicht mal halb so groß wie der Durchschnitt im Westen. „Das sind soziale Probleme, die schreien zum Himmel. Und wenn wir diese Probleme nicht zum Thema machen, dann wird die Politik einen Teil der Bevölkerung verlieren“, sagte Maier. „Ich glaube, die SPD im Bund hat das Thema Osten viele Jahre vernachlässigt.“
„AfD zielt auf grundsätzliche Systemveränderung“
Der frühere Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle warnt vor einer Erosion von Demokratie und Rechtsstaat infolge eines Durchmarsches der AfD bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland. „Die AfD als stärkste Fraktion in einem oder mehreren Landtagen würde die politische Landschaft Deutschlands umkrempeln. Die politischen Köpfe dieser Partei zielen auf eine grundsätzliche Systemveränderung“, sagte der dem „Tagesspiegel“ (Donnerstag). „Es wird nicht leicht, die AfD als stärkste Kraft zu verhindern“, sagte er.
Voßkuhle hält den Fortbestand der Demokratie in Deutschland für nicht gesichert. „Es kann durchaus sein, dass sich unsere westliche Demokratie nur als eine kurze Phase in der Geschichte der Menschheit erweist, ähnlich wie die attische Demokratie, und danach wieder die dunkle Zeit des Totalitarismus zurückkehrt“, sagte er. „Wer das nicht möchte, sollte sich für unsere Demokratie engagieren. Das Leben in einer Demokratie war nie ein Paradies. Aber das Leben in totalitären Regimen war und ist in vielfältiger Hinsicht deutlich schlechter.“